Von der Landwirtschaft in den Einzelhandel
Gespräch mit Claudia Nossol
Mit 15 beschloss Claudia Nossol, die Schule und ihre Heimat Nürnberg zu verlassen. Ihr Herz schlug schon damals für die biologisch-dynamische Landwirtschaft, sie träumte von einem Leben als Landwirtin.
Claudia Nossol arbeitete und lernte auf dem Demeter-Hof von Herbert Vogel in Oberfranken. Dort traf sie Herbert Vogels Freund Thomas Greim, der ebenfalls fasziniert von dieser alternativen Form der landwirtschaftlichen Arbeit war und ist. Die beiden wurden ein Paar. „Wir wollten gemeinsam einen Bauernhof kaufen. Aber dafür fehlte uns das Geld“, erzählt sie. Also machten sie das, was innerhalb ihrer Möglichkeiten lag: Sie fuhren Bio-Produkte aus. Auch wenn der Start an manchen Stellen holprig war, liefen die Geschäfte gut. Aber die Dimensionen ihrer Unternehmung sah damals trotzdem keiner von beiden voraus: „Wir hätten beide nicht gedacht, dass wir mal einen Einzelhandel gründen. Es gab ja kein Ziel, auf das wir hingearbeitet haben. Für uns ging es Schritt für Schritt. Natürlich haben wir uns überlegt, dass wir irgendwann einen eigenen LKW brauchen und nicht immer einen leihen können. Aber in der Größe, die dennree heute hat, habe ich nicht gedacht.“ Sie überlegt und sagt dann: „Irgendwann kam zum Beispiel jemand auf uns zu und meinte: ‚Ihr wisst schon, dass ihr eine Firma habt, die auf dem Lieferschein stehen muss.‘ So etwas war uns gar nicht bewusst. Damals gab es keine Beratungsstellen oder die Möglichkeit, Informationen einfach zu beschaffen.“
Sie haben zur richtigen Zeit ihre Überzeugung ausgelebt: „Es war vieles Versuch und Irrtum. Woher hätten wir wissen sollen, was richtig ist? Heute könnten wir so etwas nicht mehr machen. Das war damals eine andere Zeit, die mehr verziehen hat“, erklärt Claudia Nossol. Der Rest kam – wie sie sagt – von selbst.
Zu Beginn der dennree Geschichte gab es die Bio-Branche oder das Bio-Siegel noch nicht. Die ersten Läden, die Claudia Nossol und Thomas Greim belieferten, waren Münchener Reformhäuser – die allerdings keine große Auswahl an Lebensmittel hatten. Erst nach und nach entwickelten sich die ersten Naturkostläden. „Bio war damals kein Thema in der Bevölkerung oder in der Landwirtschaft“, erzählt sie. Mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl wuchs zwar das Bewusstsein, aber eine wirkliche Wende in der breiten Bevölkerung gab es auch danach nicht. Claudia Nossol und Thomas Greim begriffen: Wenn sie mehr Produkte verkaufen wollen, dann müssen sie nach Berlin. Damals gab es dort einen sogenannten Gebietsschutz. Nur eine Firma durfte in Berlin biologisch-dynamische Produkte vertreiben. „Der Gebietsschutz galt allerdings nicht im Einzelhandel. Also haben wir uns Mitte der 70er dazu entschlossen, einen Laden zu eröffnen“, erzählt Claudia Nossol. Der Laden entstand in Zusammenarbeit mit Eltern von der Waldorfschule in Berlin. „Die Ladenfläche haben wir geteilt, denn sie war viel zu groß für uns.“ Eine Verwandte von Thomas Greim betreute den Laden drei Tage die Woche, Donnerstag bis Samstag fuhr Claudia Nossol von Töpen nach Berlin. Genauso wie Thomas Greim verbrachte sie viel Zeit hinter dem Steuer: „Wir waren nur zu zweit, was hätten wir tun sollen?“
Doch sie fuhr nicht nur viel nach Berlin. Auf der Suche nach Lieferanten besuchte sie zum Beispiel in Sizilien Erzeuger*innen. „Damals musste man die Beziehung erst aufwärmen. Entweder du warst Freund oder Feind – und wir wollten natürlich Freund sein.“ Sie erinnert sich noch daran, wie sie die ersten Bestellungen aufgegeben hat: „Telefon ging nicht, weil ich kein Italienisch spreche. Fax gab es damals noch nicht. Also mussten wir per Lochstreifen kommunizieren. Die Maschine war so laut, dass sie in einem extra Raum stehen musste. Die eingestanzten Löcher in den Lochstreifen waren die Informationen zu unseren Bestellungen – das war damals unsere einzige Möglichkeit.“ Die Produkte holten sie selbst ab – auch aus Italien.
In den 80er Jahren eröffneten die beiden dann in Hof – Nahe ihres Heimatortes Töpen – ihren ersten eigenen BioMarkt. Wie sie den Standort ausgesucht haben? „Gefühl“, antwortet Claudia Nossol. „Damals gab es keine Analyse. Also sind wir nach unserem Bauchgefühl gegangen. Damit lagen wir auch regelmäßig daneben“, erinnert sie sich und lacht. So bauten Claudia Nossol und Thomas Greim nach und nach dennree auf. Nach der Trennung konzentrierte sie sich auf den Einzelhandel und beide wurden gute Geschäftspartner. Das Geheimnis ihres Erfolgs? „Wir haben uns nicht mit zu viel Theorie aufgehalten. Wir wollten lieber vorwärtskommen und anpacken. Ich schätze, das Bodenständige lernt man in Oberfranken“, erzählt sie und grinst. „Wir wurden oft belächelt – auch von der Töpener Bevölkerung. Aber das hat sich geändert. Ich wohne immer noch in Töpen, ich bekomme das natürlich mit. Heute sind die Töpener stolz auf dennree.“